2007: Aus der Geschichte des "Rasenden Rolands"

Ein Gastbeitrag von Torsten Seegert

Ein Sachse und zwei Stettiner - Zur 90-Jahr-Feier präsentieren sich die Stettiner Vulkan-Loks 994633-6 (links) und 994632-8 (rechts) sowie mittig die Sachsen-Lok 991782-4 (Mitte) (Foto: Bruno Schmidt)

Wer im Haus Colmsee sein Urlaubsquartier bezieht, kann ihn nicht ignorieren: Den "Rasenden Roland". Früher oder später kreuzt er ja doch Deinen Weg! - Fröhlich pfeifend zieht er sich bis dahin durch eine der reizvollsten Landschaften der Insel Rügen. Urlauber halten mit Fotoapparaten fast jede seiner Regungen fest. Wie viele Fotos wohl in den über hundert Jahren von ihm gemacht wurden? Niemand weiß es genau. Doch beim Betrachten der Fotos erinnert man sich an den Geruch des Dampfes - der in die Nase stieg-, den unruhigen Lauf der Räder auf den Schienen oder an die großen Kinderaugen der kleinen Fahrgäste. Vielleicht träumten sie sich in den wilden Westen zu Winnetou und Old Shatterhand? – Eisenbahnromantik!

2007 Haus Colmsee und der Rasende Roland 02
Zwei Züge - ein Ziel: Putbus war einmal der zentrale Bahnhof in Richtung Stralsund und Göhren (Foto: S. Seegert)

Als 1892 das preußische Kleinbahngesetz erlassen wurde, geschah dies jedoch aus rein wirtschaftlichen Gründen. Denn auch damals ging es schon um die Frage, wie man mit geringen Kosten landwirtschaftliche Produkte von A nach B transportiert. Weit bevor Benzin- und Dieselschluckende Gefährte die Straßen und Landwege eroberten, entstand in der pommerschen Agrarprovinz binnen weniger Jahrzehnte das dichteste Kleinbahnnetz des Deutschen Reiches.

Die Vorteile lagen auf der Hand: Die weit geringeren Spurbreiten ermöglichten gegenüber der Normalspur engere Kurvenradien, leichtere Fahrzeuge und geringere Transportkosten. Auf 600 mm, 750 mm und 1000 mm Spurbreite schnauften fortan in Vor-, Mittel- und Hinterpommern kleine emsige Dampfrösser durch die Lande.

Einige von Ihnen sind noch heute bei der „Rügenschen Kleinbahn“ zu bestaunen. Allerdings werden sie hier liebevoll „Rasender Roland“ genannt. - Ein Name der sich mit der atemberaubenden Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h erklärt und während der Fahrt zum Blumenpflücken einlädt.

Die „Rügensche Kleinbahn“ ist die letzte Kleinbahn Vorpommerns. Während der größte Teil der Kleinbahnen den Reparationen nach dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel und die restlichen Strecken in den 60er Jahren aus Kostengründen stillgelegt wurden, verdankt der „Rasende Roland“ sein Überleben einigen Glücksfällen und immer wieder engagierten Eisenbahnfreunden.

Nachdem alles euphorisch am 22. Juli 1895 auf ganzen 10,85 km - einer Strecke vom kleinen Residenzstädtchen Putbus zum Ostseebad Binz – begann und diese bis 1899 auf 97,3 Kilometern ausgebaut wurde, erreichte die „Rügensche Kleinbahn“ ihre ausgesprochene Blüte um 1911. Nach Verkehrseinschränkungen von etwa 30% im ersten Weltkrieg folgen die Jahre der Inflation. Durch den allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang und die sinkenden Verkehrsleistungen erreicht auch die Kleinbahn 1923 ihren absoluten Tiefpunkt. Schon zuvor kam es 1920/21 beispielsweise zu Fahrplaneinschränkungen wegen Kohlemangels oder Rückgängen im Gütertransport durch die wachsende Konkurrenz der Reichspost. Allein durch ihre landwirtschaftlichen Nutzer, die den Fehlbetrag von 1 072 447 426,34 Mark - das entsprach etwa 27.000 Goldmark – ausgeglichen hatten und durch die Änderungen des Handelsgesetzbuches erübrigte sich eine Konkursanmeldung. Das auf und ab – begleitet von schlechten Erntejahren – prägte lange Zeit auch danach die Jahre bis zur Weltwirtschaftskrise. Ein erneuter Tiefpunkt war 1932 erreicht. Erst dann konnte die „Rügensche Kleinbahn“ mit Mühe wieder aus den roten Zahlen fahren. Parallel dazu bemühte sich der Staat um einen Zusammenschluss aller pommerschen Kleinbahnunternehmen. Diese wurde am 1. Januar 1940 letztlich durch die Gründung der pommerschen Landesbahnen als Körperschaft des öffentlichen Rechts vollzogen. Damit war auch die Eigenständigkeit aller Kleinbahnen in Vorpommern beendet.

Der Heizer bestückt den Kessel (Foto: Anders M. Jansson)

 

Nur fünf Jahre später entgeht die „Rügensche Kleinbahn“ ihrer Stillegung. Andere Unternehmen, wie die Anklam-Lassaner Kleinbahn, die Kleinbahn Casekow-Penkun-Oder, die Kleinbahn Greifswald-Wolgast, die Greifswald-Jarmener Kleinbahn und die Demminer Kleinbahn können sie nicht abwenden. Doch auch auf Rügen hat man mit den Kriegsfolgeschäden zu kämpfen. Es gibt wieder keine Kohle um den Betrieb erneut in Gang zu setzen. Zeitzeugen berichten später, dass man nur mit Holz die Dampfrösser wieder in Gang setzen konnte. Für 38 Kilometer benötigte man aber bis zu 24 Stunden. – Doch die Bahn fuhr wieder!

Am 1. April 1949 wurden die „Rügensche Kleinbahn“ zusammen mit den verbliebenen Kleinbahnen, die nicht als Reparationsleistung für die Sowjetunion abgebaut wurden, Bestandteil der Deutschen Reichsbahn. Doch seit 1958 ereilte auch dort das große Sterben die Kleinbahnen. Auf Rügen erfolgte nach wirtschaftlichen Untersuchungen der Beschluss zur schritt weisen Betriebseinstellung auf sämtlichen Strecken. Begonnen wurde 1967 mit der Stillegung der Strecken Altefähr - Putbus. Es folgten 1968 die Strecken Fährhof – Altenkirchen und 1970 die Strecke Bergen – Wittower Fähre. Der letzte Schritt zur Stillegung der Schmalspurbahnen auf der Insel Rügen war für das Jahr 1976 vorgesehen. Aber: In letzter Minute retteten „neue Ansichten zur Pflege des kulturellen Erbes und zur Erhaltung von Denkmalen der Produktions- und Verkehrsgeschichte“ die Bahn vor der Betriebseinstellung.

Der kleine Lokführer (Foto: Anders M. Jansson)
 
Das Bekenntnis zum „Rasenden Roland“ war richtungsweisend. So wurde ein Traditionsbereich für die  Schmalspurbahn auf dem Bahnhofsgelände von Putbus geschaffen, der Oberbau der Strecke Putbus – Göhren erneuert und die bis zu 70 Jahre alten Reisezugwaren rekonstruiert.
 
Werfen wir noch einen kurzen Blick in den Lokomotivpark: Farbig fallen neben der „blauen“ Heeresfeldbahnlokomotive „Nicki+Frank S“ vor allem die „grünen“ Stettiner Vulcan-Lokomotiven  auf. 1913 und 1914 wurden die beiden ersten vierachsigen Loks der Gattung „M“ geliefert. Sie hatten erstmalig seitenverschiebbare Achsen die für eine bessere Bogenläufigkeit sorgten. 1925 erfolgte die Lieferung einer dritten Schwester-Lok. Bei der Deutschen Reichsbahn (DR) liefen sie unter den Nummern 99 4631, 99 4632 und 99 4633. Während die erste zum Zwecke der Devisenbeschaffung zu DDR-Zeiten nach Lehrte verkauft wurde, kamen die anderen beiden Vulcan – Dampfrösser 1992 nach einer Rekonstruktion in ihrer markanten scharz/grünen Originalanstrich wieder. Sie tragen seither die alten Nummern „52 Mh“ und „53Mh“.       
           
Achja, nach der Wende 1989 gab es natürlich so manchen Betreiberwechsel – begleitet vom wirtschaftlichen Auf und Ab. Bleibt zu hoffen, dass der „Rasende Roland“ auch weiterhin den Wirren einer schneller gewordenen Zeit trotzt, auch wenn er – wie Eisenbahnromantiker meinen – der „letzte der Mohikaner“ ist...